VANESA HARBEK - Visions

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VÖ: 14.01.2022
(A1 Records/BrokenSilence)

Genre: Latin Blues

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VANESA HARBEK

Wo war die Dame nur in den letzten 43 Jahren, denn bislang hält sich ihr Output in Grenzen, obwohl sie in ihrer argentinischen Heimat durchaus bekannt ist und als „Queen Of Latin Blues“ gilt. Eine Erklärung könnte die Vielseitigkeit der Künstlerin sein, die neben der Gitarre und Gesang auch die Trompete beherrscht und dazu als Malerin aktiv ist. Seit 2016 lebt sie in Berlin, wo sie auch in einer Galerie ausstellt. Doch so weit muss man gar nicht fahren, viele ihre Werke zieren das Layout ihres neuen Album „Visions“.

Schon die ersten Töne machen klar, dass sie auf „High Heels Tango“ eine Schippe drauf gelegt hat, mehr Kraft, mehr Emotion, mehr Rock. Als hätte man es orakelt fällt der Apfel nicht so weit vom SANTANA-Stamm, was ab einer gewissen Qualität mehr Ritterschlag als Vorwurf ist. Diese besitzt sie durchaus, wie schon „Positive Day“ umgehend unter Beweis stellt. Das Eingangsriff und die Drums duellieren sich punktgenau, die beseelte Darbietung erfasst einen sofort. Hinzu kommt die Lässigkeit, die auch die Saitenlegende auszeichnet und eben dessen euphorische Leadarbeit.

Natürlich steht über allem der außergewöhnliche Rhythmus, der das Album prägt. Sind es bei SANTANA aber eher mittelamerikanische Salsa-Anklänge, so kehrt Harbek hier ihre Tango-Wurzeln heraus. Fast schon tanzbar ist „It´s Crazy“, ein der beiden Singles und wohl die kommerziellste Nummer der Scheibe. Doch von irgendwelchem Schielen auf Airplay ist man weit entfernt, dazu ist auch die dunkle Stimme der Frau zu ungeschliffen, aber mit einer schönen Portion Verruchtheit. Zum Schluss hin kann sie mit den sechs Saiten den Verdacht noch weiter zerstreuen.

Weiter weg von der Latin-Richtung macht sie in den Disziplinen, an denen sich heute so viel Blueser versuchen ebenfalls eine gute Figur. Da darf es auch mal gerne kernig rocken, der Schlusspunkt „Boring Days“ weiß sogar mit leichter Rockabilly-Attitüde zu begeistern. Von den funkigen Titeln sticht „Hell In Paradise“ am meisten raus, da der Bass von Martin Engelien ganz tief groovt.
Hier mischt sich auch wieder die Coolness rein, scheinbar mühelos switcht die gute Vanesa zwischen Licks und Leadfills. Selbst beim Thema Bluesballade werden mit „Feeling So Bad“ die Hausaufgaben gemacht. Rhythmisch sowohl sanft wie außergewöhnlich und mit einem schönen warmen Solo verziert, zumal die ruhige VANESA HARBEK immer noch genug Feuer hat.

Darin liegt ihre wahre Stärke, da packt sie ihre ganze Leidenschaft rein, speziell wenn sie in ihrer spanischen Heimatsprache intoniert. „Te Extrano Buenos Aires“ besingt die Stadt ihrer Herkunft, lässt noch mehr den Tango von dessen Straßen einfließen und schafft etwas völlig eigenes. Leichte folkige Tupfer, viel akustische Gitarren und ein ebensolcher Auftakt im Solo, das alles mit so viel Gefühl und Ehrlichkeit eingespielt.
Noch tiefer geht „Muriendo Un Poco Cada Dia“, bei dem die Trompete die Führung übernimmt und wunderbar vor sich hin weint. Der Bass liegt legt ein sanftes Fundament darunter, die Dame croont wunderbar, der Hörer versinkt komplett darin. „Noches De Soledad“ verknüpft die Künste am Blasinstrument mit denen an der Klampfe und lebt ebenfalls von diesem Gefühl für die Geschichte jener Folklore.

Doch damit nicht genug, die Bearbeitung des Traditionals „Vuelvo Al Sur“ aus der Feder des großen Astor Piazolla vermag noch mehr zu berühren. Die Überführung in feingepickten Blues verknüpft dessen Melancholie mit der tiefen Tragik, die vielen Tangotänzen innewohnt, dem Kampf um die Liebe. Die Klänge entführen einen unweigerlich in die Straßen der argentinischen Hauptstadt mit ihren Cafés, wo sich Leid in Lebensfreude wandelt. Man muss das einfach leben, im Blut haben, sonst bekommt man das so nicht hin, VANESA HARBEK glüht für beide Stile und lässt den Hörer absolut mitfühlen.

Wo viele beim Verknüpfen musikalischer Welten einfach nur Versatzstücke aneinander reihen, gelingt hier die perfekte Symbiose. Die Rhythmik trägt diese exotischen Züge, dennoch ist man komplett im Blues-Schema verhaftet. Der Albumtitel passt, das ist wirklich visionär, in der Art hat man das höchstens mal von VAYA CON DIOS vernommen, hoffentlich stellt sich auch deren Erfolg ein. Von der Darbietung ganz zu schweigen, die einfach überragend ist.
Harbek und ihre Mitstreiter setzen jeden Ton punktgenau, die Dosierung und das Feingefühl umschmeicheln den Hörer. Da sind erfahrene Cracks am Werk, welche die Vorgaben der Dame genial umsetzen. Dazu zählt auch der warme und differenzierte Sound von Engelien, der alles, perfekt zwischen Trockenheit und Druck balancierend abrundet. Vielleicht musste sie einfach warten bis sie die nötige Reife hatte, um solche Musik zu schaffen. Was für eine Entdeckung!

9 / 10

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