DRITTE WAHL

von Thomas Pietrek

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Mailer vom 24.08.05
Interviewpartner: Gunnar (voc./g.)

Homepage:
www.dritte-wahl.de

FFM-Rock:
Dritte Wahl sind zurück. Die Veröffentlichung eures letzten Studioalbums ist mittlerweile vier Jahre her. Zwischenzeitlich habt ihr zwei Live-Scheiben und eine englischsprachige Best-Of-CD herausgebracht. Was habt ihr sonst so in der Zwischenzeit getrieben? Wie sieht euer Leben neben der Band aus?

Gunnar:
Wir haben viele Konzerte gespielt, bevor unser Bassist, Busch´n, schwer erkrankte. Wir sind insgesammt mehr eine Live-Band. Sind halt gern unterwegs. Zwischendurch haben wir auch viel im Probenraum gesessen und an den neuen Stücken gewerkelt. Wir hatten sehr viele gute Ideen, wenn es ums Musikalische ging, aber mit den Texten war es schwierig. Wir haben schon einige Songs gemacht und wollten uns nicht laufend wiederholen. Zum Beispiel braucht kein Mensch ein weiteres Bundeswehrlied von uns. Die zwei Live-Scheiben und die „tooth for tooth“ haben uns natürlich auch Zeit und Energie gekostet, so dass man nicht davon sprechen kann, dass wir faul in der Ecke gesessen hätten.

Neben der Band haben wir natürlich unsere Familien - Krel und Gunnar haben Kinder (2 & 3) -, und versuchen mit jobben etwas dazu zu verdienen. Stefan arbeitet beim DRK.

FFM-Rock:
Was würdet ihr von einer deutschsprachigen Best-Of -CD halten?

Gunnar:
Vielleicht machen wir mal eine, wenn wir ans Aufhören denken. Ich hoffe aber, dass wir noch eine Weile weitermachen.

FFM-Rock:
Euer neues Album heißt 'Fortschritt'. Darauf befindet sich ein Track mit gleichem Namen, der sich mit eben diesem Begriff beschäftigt. Hat der Begriff 'Fortschritt' darüber hinaus, auf euch selbst bezogen, auch Bedeutung? Schließlich sprecht ihr auf der mir vorliegenden Kurzinfo davon, dass diese CD auch ein Start in eine neue Zeit sein soll. Würdet ihr bei der aktuellen Scheibe von einer Weiterentwicklung sprechen?

Gunnar:
Für uns ist diese Scheibe auf der einen Seite ein Album, mit dem wir uns von Busch´n verabschieden, er war schon bei der Bandgründung dabei und wir haben 18 Jahre zusammen Musik gemacht, auf der anderen Seite soll diese Platte aber auch ein Startschuß in eine neue Zeit sein, denn wir sind noch hier und wir können Geschehenes auch nicht mehr umkehren. Das hat aber mit dem Namen „Fortschritt“ nichts zu tun.

Eine Weiterentwicklung sehe ich auf jeden Fall im Spielerischen und im Songwriting.

FFM-Rock:
Auf 'Fortschritt' sind im Vergleich zu älteren Alben recht viele Gastmusiker dabei. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Gunnar:
So richtig von langer Hand geplant haben wir das nicht. Es sind einfach Stücke auf der Platte, bei denen es sich anbot, ein paar Gäste einzuladen. Die Ideen dazu kamen wärend der Aufnahmen. So dachten wir zum Beispiel, dass bei dem vollakustischen Lied „Auf der Flucht“ ein Dudelsacksolo schön wäre. Wir haben das dann mit nem Keybord versucht – das klang aber scheiße. Dann haben wir rumtelefoniert und alle Angefragten haben bereitwillig mitgemacht. So war es mit den Bläsern, Flöten, Geigen und Gastgesängen auch.

FFM-Rock:
Haben Lieder wie 'Wo?', 'Plakativ', 'Willst Du' oder 'Alle Tage – Alles Gleich' autobiographischen Charakter? Klingt alles sehr menschlich und man kann sich gut hinein versetzen. Inwieweit verarbeitet ihr euer eigenes Leben in euren Songs?

Gunnar:
Ein Bisschen was von einem selbst ist natürlich in fast jedem Song. So ganz autobiographisch sind die Stücke aber nicht. „Willst du?“ und „Alles Tage- alles Gleich“ sind kleine Geschichten, die so oder so ähnlich jeden Tag auf der Welt passieren. „Wo?“ ist noch einmal ein Song, bei dem ich an Busch´n denken mußte. Der hatte auch noch so viel vor und hat es doch immer verschoben.

Plakativ ist wohl das Lied, das mir am nähesten ist. Manchmal möchte man gewisse Menschen nehmen und schütteln bis sie zur Vernunft kommen!

FFM-Rock:
Mit 'Feige Helden' und 'SAS Beluga' packt ihr thematisch gesehen zwei „heiße Eisen“ an, die sich meiner Meinung nach positiv vom textlichen Einheitsbrei anderer Bands absetzen. Glaubt ihr, dass ihr von den sogenannten „kleinen feigen Helden“ oder den Verantwortlichen im Fall „SAS Beluga“, bzw. von Behördenseite aus, Reaktionen auf diese Lieder bekommen werdet?

Gunnar:
Als wir damals 1994 in dem Song „Bad K.“ über die Ermordung von Wolfgang Grams in Bad Kleinen gesungen haben, dachte ich, dass sich vielleicht mal jemand bei uns meldet. Es ist aber nie was gekommen. Ich glaube auch bei diesen Songs wird es keine direkte Reaktion geben. Es sind einfach Themen, die uns auf dem Herzen lagen.

FFM-Rock:
Eher untypisch für euch habt ihr einen Coversong auf 'Fortschritt' untergebracht. Dabei handelt es sich um 'Weisses Boot', dem „Rote Gitarren“ Klassiker. Aus welchem Grund habt ihr euch gerade für dieses Lied entschieden?

Gunnar:
Ach, ich hab mir vor nem Jahr mal die Amiga-Platte von den Roten Gitarren auf einem Flohmarkt gekauft. Mehr so aus nostalgischen Gründen. Zu meiner Kinderzeit war der Song im Osten ein Riesenhit und man hörte ihn fast jeden Tag im Radio. Bei irgendeiner Feierlichkeit hab ich die Scheibe dann mal aufgelegt und da kam uns die Idee das Lied nochmal neu aufzunehmen.

FFM-Rock:
Ich persönlich finde, dass euer Sound auf vergangenen Platten (z.B. 'Strahlen') wesentlich druckvoller war. Wie seht ihr das? Mit welchen Vorstellungen seid ihr an den Sound von 'Fortschritt' heran gegangen?

Gunnar:
Für uns war es nie ein Wettbewerb möglichst hart und fett zu klingen. Auf der „Strahlen“ waren die Stücke insgesammt metallischer und wir hatten gerade die „Beat the Bastard“ (The Exploited) Phase. Die Scheibe hat uns damals echt beeindruckt und wir wollten ähnlich fett klingen. Bei den neuen Aufnahmen haben wir mehr Wert auf die Textverständlichkeit und die Klarheit im Sound gelegt. Ich finde aber, dass die neue Platte schon ballert!

FFM-Rock:
Wie hat euch der Tod von Busch'n verändert? Habt ihr jemals darüber nachgedacht, die Band aufzulösen? Wie haben die Fans reagiert?

Gunnar:
Der Tod von Busch´n und auch die harte Zeit davor hat viel in mir verändert. Er war für mich nicht nur ein Bandkollege, sondern auch ein sehr guter Freund. Ich hatte vorher auch noch keine wirklichen Erfahrungen mit diesem Thema. Sowohl die meisten meiner Freunde, als auch meine Eltern leben noch und sind wohlauf. Das aber die Band weiterleben würde, war sehr schnell klar. Wir haben sogar noch zusammen besprochen, was wir denn machen, wenn die Sache schiefgeht und er nicht wieder gesund wird. Er hat uns sehr ermutigt, weiter zu machen und letzten Endes wußte er sogar, wer seinen Job übernehmen wird.

FFM-Rock:
Ihr habt einen neuen Bassisten namens Stefan. Wie kam es, dass gerade er den Platz des Bassisten einnehmen durfte? Gab es eine Art Casting oder kommt er aus eurem Bekanntenkreis? Inwiefern hat er Einfluß auf die (zukünftige) Musik oder den Sound von „Dritte Wahl“?

Gunnar:
Die Auswahl derer, die für uns in Frage kamen, war nicht sehr groß. Neben dem Spielerischen und dem Gesangstechnischen war uns wichtig, dass unser neuer Mann auch menschlich zu uns passt. Wir sind viel unterwegs und da verbringt man doch einige Zeit miteinander! Stefan ist ein alter Freund von uns und er war die erste Wahl. Wir freuen uns, dass er jetzt dabei ist. Sicher wird er in Zukunft auch neue musikalische Impulse setzen. Er kommt ja eher vom Hardcore und das kann eine gute Ergänzung für uns sein.

FFM-Rock:
Wie entsteht bei euch ein Song? Gibt es einen bestimmten Songwriter oder setzt ihr euch zusammen an ein Stück?

Gunnar:
Unsere Lieder sind zu 99% von mir. Ich komme dann mit den Melodien und den Texten in den Probenraum und habe auch schon recht klare Vorstellungen von dem Song. Das richtige Arrangement machen wir dann aber zusammen.

FFM-Rock:
Von vielen Musikgruppen hört man des öfteren, dass sie gerade bestimmte ältere Lieder nicht mehr so gerne live spielen, da sie sich mit den Texten nicht mehr identifizieren können oder das Lied die ursprüngliche Bedeutung, die es einmal hatte, verloren hat. Oftmals werden diese Lieder dann nur den Fans zu Liebe hin und wieder ausgepackt. Gibt es bei euch ebenfalls Songs dieser Art? Gibt es Lieder, die ihr im Nachhinein richtig gehend bereut? Wenn ja, welche und warum?

Gunnar:
Richtig bereuen wir, glaube ich, kein Stück von uns. Es gibt natürlich Lieder, die man gern oder weniger gern spielt. Bei uns ist momentan eher das Problem, dass wir mit Stefan nicht mehr so spontan wie früher Hörerwünsche erfüllen können, weil er einfach noch nicht alle Songs draufhaben kann.

FFM-Rock:
Wenn ihr euch musikalisch gesehen in eine Schublade stecken müsstet, welche wäre das am ehesten? In der Regel werdet ihr von den meisten Leuten als Punkband bezeichnet. Was haltet ihr von der heutigen Punkszene in Deutschland? Kommt ihr mit denen noch klar oder habt ihr mittlerweile keinen richtigen Bezug mehr dazu?

Gunnar:
Ich nenne unsere Musik immer noch liebevoll Punkrock. Der Begriff wird ihr zwar nicht ganz gerecht, aber das Grundgefühl liegt doch noch immer eher dort. Mir persönlich steht die Punkszene auch am nächsten. Sicher gibt es überall auch ein paar Blitzbirnen und Spinner, aber ich denke, es ist eine der wenigen Bewegungen, die sich nicht nur über den Musik- und Klamottengeschmack definiert, sondern auch politische Ziele verfolgt, Projekte unterstützt, selbstverwaltete Zentren unterhält usw. Es ist schon eine recht lebendige Szene und ich habe viele sehr fitte Menschen kennengelernt.

FFM-Rock:
Eure Texte sind in der Regel eher politisch und gesellschaftskritisch geprägt. Engagiert ihr euch auch außerhalb des Bandgeschehens politisch?

Gunnar:
Wir sind selbst nicht „richtig“ politisch engagiert. Ich wüßte momentan auch nicht, welcher Organisation ich dazu nahe genug stehen würde. Aber wir unterstützen Projekte finanziell, indem wir Benifizkonzerte spielen, Samplerbeiträge auf Benifizsamplern platzieren oder auch einfach Geld oder Klamotten/CD´s/LP´s spenden. Wir haben z.B. mal einen Reisebus voller Kids auf dem Weg zu einer Großdemo mitfinanziert. Vielleicht regen wir auch durch unsere Songs den Einen oder Anderen zum Nachdenken an?

FFM-Rock:
Ihr habt einmal gesagt, dass ihr in euren Anfangszeiten unter anderem Stücke von den „Toten Hosen“ nachgespielt hättet, da ihr Fans von denen gewesen seid. Hört ihr heute immer noch gerne Stücke der „Hosen“?

Gunnar:
Ich finde die Toten Hosen immer noch gut. Auch auf der neuen Platte sind, meines Erachtens, ein paar Kracher drauf. Es ist für mich die Band, die mich an deutschen Punkrock herangeführt hat. Ich hab die als Stift mal im Radio gehört und dann kam es, wie es kommen mußte! Wahrscheinlich könnten sie auch eine komplette Platte nur mit selbst gebastelten Gemüseinstrumenten aufnehmen und ich würde das immer noch spitze finden. Wir haben neulich mal vor denen gespielt – das war klasse!

FFM-Rock:
Welche Bands zählen zu euren Lieblingsgruppen? Wer sind eure (musikalischen) Vorbilder?

Gunnar:
Wie schon gesagt, die Toten Hosen sind schon eine wichtige Band für uns. Dazu kommen Combos wie AC/DC, Motörhead, Exploited, Dead Kennedys, Slime, Hass usw.

FFM-Rock:
In den nächsten Monaten seid ihr wieder auf Tour, unter anderem auch mit „The Exploited“. Was darf der „Dritte Wahl“ Fan erwarten?

Gunnar:
Sicher werden wir eine Art „Best Off“ Programm, vermischt mit ein paar neuen Stücken spielen. Im Ausland werden wir es mal mit Englisch versuchen. Vielleicht spielen wir auch in Deutschland ein paar Konzerte mit englischem Gesang.

FFM-Rock:
Was wohlt ihr mit der Band noch erreichen? Welche Ziele habt ihr euch noch gesteckt?

Gunnar:
Das ganz große hohe Ziel haben wir momentan nicht. Wir haben es weit gebracht, für ein paar unbedarfte Jungs aus M/V, ohne irgendwelche musikalische Vorbildung und ohne Plan. Wenn wir noch eine Weile das Level halten können, ist alles gut!

Danke für das Interview und weiterhin viel Erfolg!
Thomas von FFM-Rock

© Foto von www.bravopunkworld.de übernommen

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